Die Schwäche und der Tod
Wir suchen und streben. Weiter und weiter und weiter hinaus.
Uns steht etliches offen. Und es dürstet unser Geist nach dem Unbegrenzten.
In uns, zu uns spricht der Mythos des Gartens Eden, der Mythos, der von einem wirkmächtigen "Essen aus dem Baum der Erkenntnis" erzählt, "um so zu sein wie G*tt", das heißt also, um jede uns gesetzte Grenze zu sprengen; ein Mythos, der in seinem Kern schon bei den Sumerern festgehalten wurde und aller Wahrscheinlichkeit nach sogar schon davor als mündliche Überlieferung vorhanden gewesen ist, und mindestens siebentausend Jahre alt sein dürfte. Man hat nämlich heutzutage komplexe linguistische Indikatoren herausgearbeitet, welche ermöglichen, einer älteren mündlichen Wurzel bei Erzählungen nachzuspüren und ihr Alter grob einzuschätzen.
Das Erschütterndste an diesem Mythos ist der zustoßende Verlust, das letztliche Sich-Behaupten von Grenze, somit zuletzt der Gesang der Schwäche hinter dem Versuch nach deren Sprengung; der große Gesang vom TODE gerade (!) beim Versuch, das unbegrenzte Leben in zunehmender Menschenmacht zu erlangen und für immer einzufangen. Also strandet; strandet am Tod in diesem menschlichen Ur-Mythos das Begehr zur Entgrenzung.
Ja, wir leben auf den Tod zu. Von Anfang an und unaufhaltsam.
Jener ersehnte „Garten“, „unser Garten“ läßt sich nicht "einspeichern", wird dem zur Chimäre, der sich seiner bemächtigen will.
So enden wir also.
Wir alle, der Mickrigste, der Triumphator, der Großgeist, der Narziß, der Künstler, der Eroberer von Raum und Zeit, der Nichtsnutz, der Wahnsinnige, der Weise und der Narr.
Zum Ende hin als Scherbe, nackt, noch sie: die Schwäche; das Absacken; das Sterben; Knochen, Reststaub.
Erinnerungen auf Erde vielleicht? Manchmal..., vielleicht...
Und nach Abertausenden von Jahren auch keine Erinnerungen mehr. Nichts mehr. Aus der Entgrenzung in das Nichts.
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Häufig bin ich dem Tod begegnet, eben auch bei Menschen, die ich noch als arg lebendige Wesen erlebt hatte.
Meiner eigenen Geschichte ist dazu heftigster Leck und Abgrund das schwere Lungenemphysem meines Vaters gewesen, das ihn nach der Einlieferung ins Krankenhaus in lediglich vierzehn Tagen welken; schwinden; röcheln; dann absterben ließ. Auf immer.
Er wurde vierundfünfzig Jahre alt.
Er war mein Vater. Und er wurde - vor meinen Augen - zu einem Häufchen sich verlierenden Elends.
Und als ich selber vierundfünfzig werden sollte, und wußte, demnächst werde ich älter als mein Vater, demnächst wird er der Kleinere, der Jüngere sein, und ich, sein Sohn, der Ältere: da bebte es in mir. Es war mir ein Frevel.
Heute bin ich uralt. Heute träume ich manchmal davon, daß ich meinen Vater, fast ein kleines Kind, den kleinen Irdam beschützend im Arm an meiner Brust halte, ihn liebevoll wiegend ihm ein Schlaflied vorsinge...
Ist vielleicht die Liebe stärker als der Tod, stärker als sein letzter Sieg? Bin ich Irdams Sohn und auf alle Zeiten auch Irdams nährender Vater?